Türme: Menschen verstehen
Menschen, Schweine, Petronas (6.177 NZ)
Menschen sind Dinge, die ich zunächst als Blackbox mit Input und Output betrachten will. Sie exportieren nicht nur Ausgeatmetes, Braunes, Schweiß und Urin, sondern auch Unruhe, Angst, Aufregung, usw., aber auch lokale Negentropie wie Liebe oder Fürsorge. Als Input ist ebenso Materielles wie Soziales zu sehen – zu trivial, als dass ich es ausformulieren will.
Man kann Menschen betrachten als Stachelschweine, die die Stacheln der Mitschweine meiden wollen, aber ihre Wärme brauchen und somit einen Kompromiss aus Distanz und Nähe suchen, um ihr individuelles Leid zu minimieren. Schopenhauers Bipedes machen dies ebenso.
Aus den Schweinen will ich nun Türme machen, um Menschen so gerecht zu werden, wie ich nur kann – völlig gerecht werden kann man Menschen so oder so nicht. Ich will nun in jedem Kind einen kleinen Turm sehen und in jedem Erwachsenen einen großen Turm. Sei also ein Kind ein beliebiges Hochhaus in Berlin und ein Erwachsener der Frankfurter Messeturm. Gemäß dem Spruch »Kleine Kinder, kleine Probleme – große Kinder, große Probleme« mag man, wenn man Probleme gleichsetzt mit Schwankungen im Wind, annehmen, dass der Messeturm mit seiner Höhe von etwa 256 Metern mehr Schwingungen durch Luftströmungen auszuhalten hat als jedes Wohngebäude in Berlin.
Jeder Turm hat damit zu kämpfen, was ihn ausmacht. Türme in Frankfurt stehen nicht auf dem Fels-Boden Manhattans, sondern auf Sand oder Ton, Berliner Gebäuden ergeht es da sogar noch schlechter. Türme Tokios dagegen haben, was Wind und Wetter angeht, andere Bedingungen, es gibt die Besonderheiten Tektonik und Taifun.
Von außen sieht man manche Probleme der Türme, andere der genannten Probleme sieht man dagegen nicht. Für den Turm ist es zunächst belanglos. Ebenso wenig sieht man, welche Ressourcen sie mitbringen, etwa Fähigkeiten oder Fertigkeiten. Der Taipei 101 besitzt das weltgrößte Tilgerpendel. Damit reduziert er Schwingungen des ganzen Turms und stabilisiert. Ob passive oder aktive Schwingungstilger: Sie sind in vielen Türmen (und anderen Bauwerken) vorhanden, wie im Burj al Arab und im Alex.
Als Beziehungen will ich nun ins Spiel bringen, was es nur in einem weltweit bekannten Fall wirklich gibt: Skybridges oder Skyways. Die Petronas Towers sind die einzigen Türme, die in einer wirklich interessanten Höhe eine solche Brücke haben. Diese Brücke ist besonderen Kräften ausgesetzt, da beide Türme Kräften unterliegen, die in Schwingungen resultieren können. Je anspruchsvoller die Lage für einen Turm in Verhältnis zu seinen »Ressourcen«, wie bauliche Stabilität (etwa Stahlqualität) oder Schwingungstilger, desto mehr Probleme hat auch die Skybridge. Für eine solche Brücke gilt natürlich auch, dass sie ihrerseits Strömungen und Spannungen ausgesetzt ist. Und: Ist die Distanz zwischen zwei Türmen sehr groß, muss die Brücke wesentlich mehr aushalten – bzw. müssen die Türme die Brücke bei sich stabiler verankern (d.h.: »mehr Energie investieren«).
Wollte man Türmen Vorwürfe machen, wenn sie wenige Skybridges zu anderen Türmen unterhielten, womit ich nun sprachlich etwas zu weit ins Absurde abzudriften drohe, müsste man darauf erwidern, dass man ihre Schwierigkeiten, ihre Ressourcen und den Aufwand von außen nur schwerlich bewerten könne und man ihnen nie wirklich gerecht in den eigenen Urteilen werden würde.
Turm-Text II (6.179 NZ)
Menschen/Türme müssen in Beziehungen regelmäßig Energie investieren. Diese Beziehungen seien nun die Brücken. Manchmal gibt es Missverständnisse. Denn es werden ähnlich dem Tunnelbau in der Schweiz von zwei Seiten mit dem Bau begonnen, um sich in der Mitte zu treffen. Die Schweizer Ingenieure arbeiten dabei wohl mit der Genauigkeit von zehntel Millimetern und am Ende werden aus zwei Teams eines, das sich präzise in der Mitte unterm Berg trifft.
Menschen in binären Relationen allerdings haben diese Präzision nicht. Sie haben nicht einmal wirklich diese Motivation – die Fähigkeit sowieso nicht ...
Sie schwanken umher mit eigenen Problemen im Taifun ihrer kleinen Umwelt oder der Zucker Trolle, ihrem Es, die sie mit ihrem bewussten Ich, dem Schwingungstilger wie in Japan, nur schwer kontrollieren können.
Turm-Text III (6.179 NZ)
Menschen sind sauer aufeinander, haben ihre Standpunkte und verstehen nur unzureichend, wie es ist, der jeweilige Mitmensch zu sein. Das ist, was Mensch verstehen muss, was Mensch akzeptieren soll und nicht ändern kann. Jeder Turm schwankt, jeder Turm hat Ressourcen mit Schwingungen umzugehen, oder eben mit dem Taifun um ihm herum umzugehen. Nicht jeder Taifun trifft jeden gleich. Nicht jeder Turm geht gleich mit einem Taifun um. Manche setzen auf Starrheit und Stärke und lassen sich nicht verbiegen, widerstehen beinahe jedem Trend, sich vom Wind beeinflussen zu lassen, während andere mit etwas Flexibilität weniger leicht brechen. Sie schwanken mehr, scheinen weniger stark, aber recht vital. Kommt ein starker Taifun, brechen die Starren, es kommt auch mal ein Taifun der Stärke, die auch die Flexibilität des Flexiblen überfordert. Brücken müssen dagegen immer gefüttert werden mit Energie, sie müssen das Schwanken aller Türme aushalten, dabei selbst dem Wind trotzen. Von außen gibt es immer Störfaktoren für Turm und Brücke. Damit ist zu rechnen. Die Natur ist ein einziger Abbauprozess, allerdings im trügerischen Gewand der freudigen Erneuerung, das ihr eilig entrissen wird, wenn der Zahn der Zeit am Auge des Betrachters nagt. Das Ende eines jeden naht.
Mütter-Türmchen, Kinder-Türmchen (6.183 NZ)
Ich will den Mutter Türmen nicht ihre Kinder Türme entreißen. Was wäre ein WTC 1 oder 2 ohne WTC 7? Was wäre der Commerzbank Tower ohne den Messeturm, den er als höchsten Turm Europas ablöste? Was wäre die Relation Commerzbank – höchstes Gebäude[1] ohne die Relation Deutsche Bank mit seiner entsprechenden Turm-Kollektion in Frankfurt?
Was ich jedoch will, ist, jedem Turm jedes Bedürfnis zu entreißen, das nicht letztlich dem Wohl des individuellen Turms selbst dient. Wenn ein Turm Energie will (was jede Struktur will, es ist quasi die Struktur des Seins), um intakt zu bleiben, sauber zu bleiben, repariert zu werden, Bedeutung mit Illuminationen in der nächtlichen Skyline zu erwerben, sind das Bedürfnisse, die dem Gebäude nutzen. Dem Gebäude verlangt es nicht nach Energie in dem Bewusstsein, die eigene Struktur zu erhalten, es sind in seinem Bewusstsein einfach Bedürfnisse, die befriedet werden. Sie werden vom Commerzbank Tower nicht unterschieden von anderen Bedürfnissen, welche nicht der Struktur des Turms selbst dienen. Menschen, um Türme in diesem nunmehr unpassenden Bild auszurangieren, haben manchmal Bedürfnisse, die keineswegs diesem Individuum, also ihnen selbst dienen, welche aber in ihrer Art in seiner Mutter zu seiner Existenz beigetragen haben. Diese Existenz ist jedoch insoweit vollendet, dass dieses Bedürfnis keinesfalls in diesem Wesen selbst zu irgendeinem direkten Nutzen beträgt, jedoch aber zum Wesen der nächsten Generation, der Versinnbildlichung seiner eigenen Bedeutungsabnahme.
Sicher, beim Schöpfen neuer Wesen mit Bezug zu einem Selbst und entsprechender Abhängigkeit gewinnt man an einer scheinbaren Bedeutung, aber eben nur für den Zeitraum, den es nun mal braucht, um den Stab zu übergeben, vielfach mehr als zwei Jahrzehnte.
Ich rate nicht dazu, kinderlos zu bleiben, ich rate nämlich zu gar nichts. Die Bedürfnisse, die wir haben, sind allerdings nicht einfach stillschweigend mitzutragen, sondern einer Untersuchung zu unterziehen, wenn man den Ansprüchen im Leben gerecht werden will, die man als ein mündiges Wesen in der Regel hat ...
[1] Unpräzise bei Gebäude, Bauwerk, ... Ist in diesen Kontext auszuhalten, wie auch Komplex, Komposition