Perispasmos-A2: Entropie und Politik VI: Politische Karrieren und die Entropie

Von Luga Hunger:

Im Schnelldurchlauf durch die Erscheinungsformen der Grundprinzipien, welche die Welt und unser Dasein prägen bzw. konstituieren, sollte, wenn schon die Politik im Fokus steht, auch die vielleicht amüsante Möglichkeit des Scheiterns politischer Karrieren kurz in den Blick genommen werden.

Wovon zunächst auszugehen ist: Erstens ist jede politische Karriere zunächst einmal vorbei, bevor sie beginnt, da Erfolg immer unwahrscheinlich ist. Viele wollen Erfolg haben und Keines gönnt anderen mehr Erfolg als sich selbst. Zweitens ist Unabhängigkeit das seltene, wie Macht, und so haben wir auch das gefunden, was attraktiv ist.

Wer Politiker wird, geht All-In. Die Familie ist dabei und auch die Vergangenheit ist in der Öffentlichkeit. Alle Fehler können auf dem Tisch landen und von Millionen Menschen begutachtet werden. Zwar haben wohl nicht viele Menschleins eine abgeschriebene Leiche im Keller liegen, doch die meisten haben auch keine so guten Startvoraussetzungen und haben damit entsprechend auch ganz andere Probleme: Üblicherweise ist der Erfolg in der Politik auch damit verbunden, wie sehr Mensch mit wichtigeren Menschleins übereinstimmt bei Abstimmungen. Eine eigene Meinung zu haben und sich auf eine Verfassung zu berufen, die eine Gewissensfreiheit garantiert, hilft wenig, wenn Partei- oder Fraktionsvorsitzende damit drohen, andere Kandidaten für die nächste Wahl aufzustellen. Doch genau davon ist ein Politiker abhängig. Wie kann Eins da noch authentisch sein?[1] Es braucht Unabhängigkeit, sonst ist wahre Authentizität nicht möglich.

„Unabhängigkeit“ ist nun auch das richtige Stichwort für das erste Menschlein, welches exemplarisch vorgeführt werden soll. Mit einem guten Namen und finanzieller Sicherheit ausgestattet begab sich Karl-Theodor Guttenberg[2] in die Politik – ein Menschlein, das nichts in der Welt weniger nötig hatte als sich in die schmutzige Welt der Politik zu begeben. Esses Unabhängigkeit war extrem attraktiv, da Jedes sofort wusste, dass es nun ein Menschlein gab, das nicht alles mitzumachen hatte, um einen Erfolg in der Politik zu erzielen. Auf politische Erfolge war es nicht angewiesen. Guttenberg wurde von den Medien aufgrund dieser Unabhängigkeit hoch geschrieben und gehörte schnell zu den Beliebtesten des Politikbetriebes. Es sah die „latente Gefahr“[3] überschätzt zu werden und wirkte stets souverän trotz allen Hypes. Zu Beginn des AZ-Jahres 2011 wurde Guttenberg plötzlich mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert und reagierte, wie Guttenberg selbst zugibt, „dumm“ und „töricht“ und mit einem „verheerenden“ Krisenmanagement.[4] Das Ende der Geschichte war vor allem ein sehr schnelles. Nach wenigen Tagen trat Guttenberg aufgrund des medialen Druckes zurück: „Weil ich das Gefühl hatte, dass die Sache eine Dynamik bekommt, der ich nach all den Angriffen der vorangegangenen Wochen nicht mehr gewachsen sein würde und ich wollte auch meine Familie aus der Schusslinie nehmen wollte.“[5]

Wer als Politiker nicht unabhängig ist, muss sich stets fügen und kann selten authentisch sein. Unabhängig ist kaum ein Mensch, doch auch das garantiert keinen Erfolg in der Politik. Sie ist ein Feld, in dem ganz leicht zu erkennen ist, dass Ideale von der Realität zu unterscheiden sind. Daher ist auch Machiavelli so nützlich für die (oder wenigstens zum Verstehen der) Politik:

„Indem ich also die bloßen Vorstellungen über den Fürsten beiseitelasse und nur von seiner Wirklichkeit spreche, stelle ich zunächst fest, dass allen Menschen, wenn auf sie die Rede kommt, und besonders den Fürsten, da sie am höchsten stehen, einige solcher Eigenschaften zugeschrieben werden, die ihnen Lob oder Tadel eintragen. […] [Wenn] man nämlich alles genau betrachtet, wird man finden, dass manche Eigenschaft, die den Anschein der Tugend hat, bei ihrer Verwirklichung seinen Untergang herbeiführt, und dass manch andere, die den Anschein des Lasters hat, ihm bei ihrer Verwirklichung zu Sicherheit und Wohlbefinden verhilft.“[6]

Eine reine Glückssache ist die Politik nämlich nicht. Die Wahrscheinlichkeiten stehen grundsätzlich schlecht und auf Fortuna ist Eins angewiesen, wenn Es Erfolg haben will, doch ist auch ein kluger Umgang mit den Möglichkeiten, die Fortuna gibt, geraten. Um im Kampf mit der Fortuna lange zu überleben, muss der Protagonist noch Mut, Fleiß, Weisheit, aber auch Hinterlist und Heimtücke parat haben. Die Fähigkeit, von Tugenden nur rein instrumentell Gebrauch zu machen, gehört ebenso dazu, wie Machiavelli schreibt.[7]

Die Entropie nagt an politischen Karrieren noch bevor sie so richtig beginnen. In der Politik, wie natürlich auch in jedem anderen Feld, hilft es, wenn Eins ausgestattet ist mit Entropiearmut in Form von finanzieller Sicherheit, die unabhängig vom politischen Tagesgeschäft macht. Entropiearmut ist der entscheidende Wert. Politische Kontakte lassen sich so ausdrücken und so gebrauchen, ebenso führt eine Karriere zur einer Entropiearmut wie auch Entropiearmut zu einer Karriere verhilft. Eine Garantie ist alles Kapital der Welt aber kaum. Im politischen Geschäft warten viele Krisen, über die Eins leicht stolpern kann, und wenn es nur der Druck ist, der Politiker einknicken lässt.


[1] Davon spricht auch Mishra 2009, 170 ff.; dieses Buch erläutert eine ganze Reihe von Problemen, die bei der Bewertung von Politikern zu berücksichtigen sind. [2] Es gibt keinen guten Grund, zu reproduzieren, was ganz offen nicht legitim ist, aber zu so großen bewussten oder unbewussten positiven Vorurteilen und Vorteilen führt. [3] Guttenberg 2011, 136. [4] Vgl. ebd., 36. [5] Vgl. ebd., 38. [6] Machiavelli 2014, 67 f. [7] Vgl. ebd., 75.