Perispasmos-A2: Entropie und Architektur und Stadtentwicklung
Von Luga Hunger:
Entropie wirkt und ist sichtbar in der Architektur aus zwei Perspektiven: Erstens bestimmt sie, was schön ist, und zweitens siegt sie über die Architektur, welche nur mit gewaltigem Geschick ihre eigene Niederlage hinauszögern kann.
Zunächst soll nun ein Blick auf die Schönheiten in der Architektur. Es soll nun dargestellt werden, welche architektonischen Elemente und Stile sich aus welchen Gründen als schön herausstellen.
Angefangen bei Dachformen[1]: Vom Flachdach wollen wir absehen, da es in Sachen der Entropieabwehr vollkommen ungeeignet ist (auf ihm sammelt sich alles, während auf anderen Dächern dem Dreck kein Ruheplatz vor der Gravitation geboten wird – ausgedruckt durch einen Fall). Außerdem spielt es in Sachen Ästhetik keinerlei ernstzunehmende Rolle. Dem Flachdach am nächsten kommt nun das Pultdach, welches eine einzige Dachfläche ist, die schräg ist. Dieses Dach ist nun, abgesehen vom Flachdach, das am wenigsten Schöne und das am einfachsten herstellbare. Dazu ist es die Grundform der meisten Hochhäuser in einer Vielzahl von europäischen Städten, um der Nordwinkelverordnung gerecht zu werden (die meisten FFE-Städte haben eine solche Verordnung für sich beschlossen und sind dem Vorbild der nach Afu und Somk drittöstlichsten und ansonsten fast vollständig medial unauffälligen FFE-Stadt Oschenwor gefolgt). Im Gegensatz zu prominenten Stimmen wie Algain Haiyem aus Uncemhen oder den Stadträten der Küstenstadt Damastmer kann hier ausdrücklich nicht wiederholt werden, dass dies nur Symbolpolitik ist.
Das Giebel- oder Satteldach hat dagegen zwei schräge Flächen und zwei Giebel. In der Altzeit war es die häufigste Dachform. Heute findet man sie noch sehr gerne in Igar, Laltnin, Sinkileh und Nuhasekic.
Das Walmdach stellt nochmal etwas größere Anforderungen an Konstrukteure des Dachstuhls. Das Dach hat an allen vier Seiten schräge Flächen. Auch ästhetisch ist es als höherwertig einzustufen.
Gesteigert wird die Raffinesse des Walmdachs durch den Aufwand, der beim Bau eines Mansardendachs getrieben wird. Diese Dachform ist nach dem altzeitlichen, französischen Baumeister Hardouin-Masart des 17. Jahrhunderts (AZ) benannt. Diese nochmals schönere Dachform hat grundsätzlich große Ähnlichkeit mit dem Walmdach, sie hat allerdings geknickte Flächen, welche unten steiler als oben verlaufen. Dadurch entsteht mehr Nutzraum, Wohnraum im Dachstuhl – zum Preis von mehr Zeit- und Arbeitsaufwand.
Einsichtig ist dieser architektonische Zusammenhang zwischen Schönheit und Aufwand auch an Dachformen bei Türmen: Ein Pyramidendach bei einem Turm mit einer quadratischen Grundfläche oder ein Kegeldach bei einem Turm mit einem Kreis als Grundfläche ist deutlich weniger anspruchsvoll und in der Regel weniger beeindruckend in seiner Ästhetik als beispielsweise ein Faltdach, bei welchem dreieckige Flächen nach innen gefaltet zur Spitze führen, oder eine Welsche Haube (Zwiebelhaube), bei welcher über einer Einschnürung sich eine zwiebelförmige Turmspitze erhebt.[2] Letztere ist noch stark in Uncemhen vertreten, auch in Iwen gibt es bekannte Beispiele. Nicht anders verhält es sich auch bei Kuppeln, wo sich der Bauaufwand bei romanischen oder Renaissance-Kuppeln sich deutlich von einfachen Hängekuppel absetzen; hierzu sei der Besuch von Orm, Calavoreb oder Drimad empfohlen.
Die Verbindung aus Aufwand und Schönheit lässt sich noch an Erkern, als durchfensterte Vorbauten an Häuserfassaden, an Fachwerkhäusern, an Fächergewölben oder an dem Aufwand der gotischen Baukunst betrachten, wo Wände meist aufgelöst wurden in Strebepfeilern und Strebebögen, wodurch der Eindruck einer Leichtigkeit und Immaterialität entstand.[3] Das wohl weltweit bekannteste Bauwerk der Gotik findet sich in einer der flächenmäßig größten und am dünnbesiedelten Städte Europas, Ruhr, mit einer Höhe von 157 Metern.
Nun könnte Eines noch genauer analysieren wie die Baustile der Altzeit Reichtum in der Architektur zeigten, wenn ökonomisches Kapital zur Verfügung stand. Sicher ist, dass es Aufwand über die reine Funktionalität war, die präsentiert wurde – etwa im Gegensatz zu Plattenbauten. Beispielsweise könnte mensch zeigen, wie mit Friesen Wandflächen gegliedert oder dekoriert wurden: Dies sind schmale Streifen auf den Häuserfassaden, oft mit sich wiederholenden Mustern. Überwiegend wurden sie in der Antike eingesetzt, wodurch sie heute besonders in Henat zu sehen sind. Aber auch nach den Wellenbändern, Mäandern, Zackenfriesen und Würfelfriesen der Antike wurden in der Gotik Spitzbogenfriese, Lilienfriese oder Laubfriese eingesetzt – wodurch wieder auf die Ruhrstadt verwiesen werden kann, aber auch auf Rispa oder Donlon. Friesen sind wie jede Bereicherung an Schönheit ein Mehr, das unter Entropie auch mehr zu leiden hat. Die besondere Schönheit muss besonders gepflegt werden.
Nach dieser ersten Aufnahme des Schönen in der Architektur ist klar, dass sich auch hier zeigt, dass im Grundsatz das Gewollte, das Unwahrscheinliche und das Nichtzufällige als schön zu bezeichnen ist. Über die Nichtzufälligkeit hinaus muss Architektur oftmals noch einen Aufwand betreiben, wenn sie nicht nur schön im Sinne einer guten und cleveren Funktionalität, sondern schön im Sinne der Ästhetik sein will. Später wird im Kapitel zu Minderung menschlichen Leids (in C1) differenziert, wie Nutzen ästhetisch oder funktionell sein kann.
Aufwand ist also schön, besonders, wenn über die Funktion selbst hinausgegangen wird. Auch hier gilt aber, dass Aufwand alleine nicht zur Schönheit qualifiziert. Aufwand muss dargestellt sein in einem Zusammenhang und tieferen Gesetzmäßigkeiten, wie geometrischen, auch unabhängig von Statik:
„Die Regelmäßigkeit des Gebäudes und seiner Theile wird theils durch die unmittelbare Zweckmäßigkeit jedes Gliedes zum Bestande des Ganzen zu erleichern, theils endlich tragen die regelmäßigen Figuren, indem sie die Gesetzmäßigkeit des Raumes als solchen offenbaren, zur Schönheit bei.“ (WI, 289 f.).
Dass Licht dabei hilft, Schönheit zu erkennen, liegt „darin, daß helle und scharfe Beleuchtung alle Theile und ihre Verhältnisse erst recht sichtbar macht […].“ (WI, 290) Auch bestätigt Schopenhauer natürlich, dass Funktionalität Schönheit begrenzt:
„Je mehr ein rauhes Klima jene Forderungen des Bedürfnisses, der Nützlichkeit vermehrt, sie fester bestimmt und unerlässlicher vorschreibt, desto weniger Spielraum hat das Schöne in der Baukunst. Im milden Klima Indiens, Aegyptens, Griechenlands und Roms, wo die Forderungen der Nothwendigkeit geringer und loser bestimmt waren, konnte die Baukunst ihre ästhetischen Ziele am freiesten verfolgen: unter dem nordischen Himmel wurden ihr diese sehr verkümmert […]“ (WI, 291)
Dies darf zum Anlass genommen werden, eine touristische oder edukative Reisen nach Orm, Henat oder Lionkari zu empfehlen, wobei bei Schopenhauer auch implizit die FFE-Städte Danilam und Palene gemeint waren.
Nun kommen wir zu der Ehre und zur Pflicht, Europas Hauptstadt Annuki darzustellen, und zu zeigen, wie hier Entropie und der Kampf gegen sie und um Negentropie sich auf die Architektur und Stadtplanung ausgewirkt haben.
975.558 NGZ, genauer gesagt: 975.558,52 NGZ, begann eine für Annuki schwierige Zeit. Eigentlich begann sie sogar schon im 952. Jahr NGZ, als Annuki seine Souveränität verlor. Doch mit der Machtergreifung im Jahr 976 NGZ wuchsen die Herausforderungen für Annuki gewaltig, da die neuen Herrschenden nicht viel von Annuki hielten und entsprechend an Großzügigkeiten sparten. Es kamen wenige Mittel in Form von Geld (Negentropie) nach Annuki. Diese damals noch schönere Stadt, die freilich, wie bekannt ist, wie alle FFE-Städte im 12. Jahr NZ, einen neuen Namen erhielt, konnte sich auch nicht erholen, als die Machthaber nach 12 AZ-Jahren ihre Macht verloren. Der Prozess des Machtverlustes der rückständigen und verbrecherischen Herrscher von damals halb Europa brachte 979.623 NZG und 979.627 NZG je etwa 820 Bomber nach Annuki, die fast die gesamte Stadt dem Erdboden gleichmachten. Während der gotische Dom mit einer Höhe von fast 95 Metern die Angriffe gut überstand, brannten Tausende von Fachwerkhäusern mit ihrem prachtvollen und aufwendigen Äußeren für immer nieder.
Neben diesen offensichtlichen Schwierigkeiten durch Zerstörungen, unter der viele europäische Städte, wie auch Donlon oder Auschwar, leiden mussten, ging es in diesem verbrecherischen europäischen Reich auch um den Ressourcenkampf – für alle europäischen Städte. Am Beispiel unserer Hauptstadt Europas zeigt sich das gut:[4]
Wenn eine Stadt an Informationen und staatliche Mittel kommen wollte, brauchte sie einen guten Draht zur politischen Elite, welche damals in Erlbin saß (auch gerne 120 km südöstlich von Uncemhen). Doch gelang dies der Stadtverwaltung und dem damaligen Oberbürgermeister nicht besonders gut. Sie versuchten, sich auf Traditionen zu konzentrieren, soweit sie mit dem Memplex (hier: Ideologie) politischen Elite vereinbar waren und doch auch Investitionen in die Zukunft ermöglichten. Dazu war es nicht hilfreich, Stadt des Handwerks zu werden, aber es mangelte an Kreativität, da andere Städte deutlich schneller zu guten Etiketten kamen und diese daher vergriffen waren. Gelder aus Erlbin bezogen sich nun in der Hauptsache auf das Handwerk, nicht aber auf Annukis wirkliche Interessen. Wie sollte sich Annuki nun behaupten, wenn die Machtelite diese Stadt ignorierte und finanzielle Mittel nicht für die Zukunft bereitstanden?
Investitionen in die Zukunft betrafen in dieser Zeit den Straßen-, Schienen- und Luftverkehr aber auch Messegelände, Universität und Krankenhäuser. In Erlbin hielten sie Städte wie Annuki mit dem Verweis auf eine glorreiche Zukunft nach dem großen Krieg hin. Also musste Annuki wenigstens für die Friedenszeit planen, was auch andere, große Städte taten. Ohne große Pläne konnte Eines kaum Zuteilungen von Arbeitskräften oder Baumaterialien erwarten. Und ohne diese Ressourcen ist es nicht möglich, Bauten zu errichten, die über die Funktionalität hinaus einen Eindruck hinterlassen. Prachtbauten oder Schönheiten der Architektur verlangten nach Ressourcen. Der Anspruch Annukis war gigantisch. Sah sich diese Stadt doch als heimliche Hauptstadt – was sie in gewisser Weise Jahrhunderte lang war und schließlich im 12. NZ-Jahr endlich wurde.
Noch vor dem Kriegsende 980.039 NZG planten Annukis Stadtobersten gegensätzlich zu dem herrschenden Stil in Erlbin. Es wurden keine großen Achsen geplant, keine monumentalen Großbauten oder Ähnliches. Als der Krieg schließlich zu Ende war, und Annuki zu 70% zerstört, kam die zweite Zerstörung: Die Stadt plante neu. Sie plante für neue Verkehrsmittel große Straßen und nahm nicht mehr viel Rücksicht mehr auf die klein und fein strukturierte – und natürlich gewachsene – Alt- und Innenstadt. Dazu war der Geist der neuen Architektur funktionsgerecht, materialgerecht und bescheiden. Das war das Ende der Schönheit Annukis.
Identitätsstiftendes wurde nach Möglichkeit schnell wiedererrichtet. So das Parlament Europas, welches zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine Erinnerung an erste parlamentarische Versuche einer Region Europas darstellte und in jenen Tagen auch Hoffnung gab auf eine neuerliche Größe und Bedeutung Annukis, bis ein Stadtteil der heutigen Ruhr-Metropole den Platz Erlbins einnahm.
Das heutige Parlament weist noch immer die bauliche Philosophie und Ressourcenknappheit jener Zeit auf: Anstelle der früheren Kuppel findet Eins dort ein Flachdach. Auch im Innenraum erinnert nichts mehr an die alte Pracht. Ohne große Ressourcen sind auch architektonisch keine Wunder zu vollbringen. Schönheit ist ein Indikator für etwas Gutes, etwas Reiches, da sie von Gutem und Reichem konstituiert wird. Ohne Ressourcen bleibt nichts.
Für die 699 Atychima-Abgesandten und die 138 Senatoren spielt dies wohl eine weniger große Rolle. Sie stören sich, wie leider immer wieder zu vernehmen ist, nicht nur an der geringen Größe des Sitzungssaals, sondern auch daran, dass der Zugang zum Parlament exklusiv auf der A- und B-Ebene ist. Dem ist natürlich zu entgegnen, dass sie für Amt und Ehre zu Dank verpflichtet sind, und nicht erwarten können, dass sie im Volk oder in der Regierung Mehrheiten für einen Anschluss des Parlamentsgebäudes an die private S-Ebene zu finden. Sollten die Abgesandten und Senatoren etwa über der Masse des Volkes in den Parlamentsturm spazieren, damit sie sich nicht mit dem Volk abgeben müssen?!
Der traurige Kampf Annukis gegen die Wahrscheinlichkeit und gegen Kriegsschäden ist das, was Städte wie Uncemhen, Orm oder Iwen besonders in den ersten Altjahrzehnten nach dem letzten großen Krieg schöner hat wirken lassen – um nur einige relativ nahe Städte zum Vergleich heranzuziehen. Allerdings erkennt Eins in Details Schönheit – wenn Eines will und kann:
„Desgleichen sieht der Melancholikus eine Trauerspielscene, wo der Sanguinikus nur einen interessanten Konflikt und der Phlegmatikus etwas Unbedeutendes vor sich hat. Dies Alles beruht darauf, daß jede Wirklichkeit, d. h. jede erfüllte Gegenwart, aus zwei Hälften besteht, dem Subjekt und dem Objekt, wiewohl in so nothwendiger und enger Verbindung, wie Oxygen und Hydrogen im Wasser. Bei völlig gleicher objektiver Hälfte, aber verschiedener subjektiver, ist daher, so gut wie im umgekehrten Fall, die gegenwärtige Wirklichkeit eine ganz andere: die schönste und beste objektive Hälfte bei stumpfer, schlechter subjektiver, giebt doch nur eine schlechte Wirklichkeit und Gegenwart; gleich einer schönen Gegend in schlechtem Wetter, oder im Reflex einer schlechten Camera obscura. Oder planer zu reden: Jeder steckt in seinem Bewußtseyn, wie in seiner Haut, und lebt unmittelbar nur in demselben: daher ist ihm von außen nicht sehr zu helfen.“ (PI, 316)
Eines muss genau hinschauen, um Strukturen, Erklärungen hinter Gegenwärtigem und Problemlösungen in der Architektur zu entdecken und schön zu finden. Manches drängt sich jedem Menschlein auf, anderes bedarf eines Menschenkopfes par excellence (PI, 419). Annuki in den ersten Jahrzehnten (AZ) nach dem Zweiten Weltkrieg war so ein Fall für Menschen mit scharfem Blick und Verstand. Dann ist die Schönheit auch hier offenbar. Mittlerweile ist Annuki sicherlich auch im Vergleich zu den Touristen-Klassikern Europas, wie Donlon, Okasum oder Rispa, eine wahre Schönheit geworden – sogar ganz ohne den Protz, der wenige Jahre vor der Zerstörung Annukis in Erlbin getrieben wurde.
Zum Abschluss noch ein konkretes Beispiel zur Schönheit im Kleinen, in der Architektur. Betrachten wir eine Tür. Was ist die Funktion einer Tür? Es ist eine Grenze eines Systems, welches wir hier Raum nennen, die nach Belieben offen oder geschlossen sein soll. Die Grenze des Raums ist klassischerweise eine Wand, ein Mauerwerk oder eine Rigipswand mit entsprechender metallischer Unterkonstruktion. Größtenteils soll diese Wand, diese Systemgrenze einfach und günstig gehalten sein und daher soll nicht jeder Abschnitt optional offen sein. Für die Tür stellt sich nun die Frage, wie aufwendig sie sein darf. Das hängt von der Funktion ab – zunächst jedenfalls. In Bezug auf wen oder was soll diese Tür eine Systemgrenze sein? Sollen bloß Menschen innen oder außen gehalten werden? Dann könnte ein Loch in der Mauer reichen, und Eins stellt einfach ein starkes Menschlein hinein, vielleicht mit Krach- oder Schießeisen. Vielleicht reicht auch ein geflochtenes Gitter aus Zweigen. Effizienter wäre es allerdings, in das Mauerwerk Türangeln oder Scharniere anzubringen und damit ein bewegliches Türblatt oder ein Metallgitter nach Belieben auf- oder zuzuschwenken. Gegenüber von den Angeln wären noch Löcher im Mauerwerk für Schließriegel nötig.
Schwieriger wird es natürlich, wenn etwas mehr Funktionalität erwartet wird. Das System Raum könnte dadurch abzugrenzen sein, dass Wärme, Druck, Strahlung oder Lärm auf einer Seite dieser Grenze konzentriert bleibt. Also könnte eine Tür die Funktion zu erfüllen haben, dass Unterschiede aufrechterhalten sollen, zwischen draußen und drinnen. Es sollen Informationen in einer Formation gehalten werden. Dagegen spricht immerzu die Entropie: Unterschiede lösen sich auf. Eine Tür muss daher mit viel Aufwand verbunden sein. Sonst wäre eine Ordnung, in der von einer Art außen mehr oder weniger als innen sein soll, keine Anordnung, die lange aufrechterhalten werden kann. Aufrechterhaltung hat nämlich immer etwas mit Aufwand zu tun.
Noch immer geht es bei dieser Öffnung im Mauerwerk um die reine Funktionalität. Es geht nicht um einen Aufwand über sie hinaus. Es geht noch nicht um Schönheit. Der Funktionalität dient es auch, wenn heute Türen aus einer Zarge, einem Schloss und Türblatt bestehen. Üblicherweise werden natürlich noch Blenden und Drückergarnituren über die nackte Funktionalität hinaus genutzt, sodass nicht die Zarge mit Putz und Mauerwerk zu sehen ist, und auch nicht zu einfache Klinken. Doch eine simple Tür macht nicht viel her, wenn das Türblatt, also der bewegliche Teil der Tür ganz eben und einfarbig (oder weiß) ist – trotz der Raffinesse, die in der Entwicklungsgeschichte von Türen steckt.
Die meisten verbauten Türen sind auch heute noch schlicht und nicht als schön beschreibbar, wenngleich sie auch nicht hässlich sind. Sie sind schlicht und einfach (funktional). Daran ist nichts verwerflich. Doch was macht eine Tür nun schön? Oder begrifflich anders: Was macht eine architektonische selektiv-offene Grenze für Menschen schön?
Ein Portal ist eine solche schöne Grenze. Mit dem Begriff Portal assoziiert mensch nicht bloß eine etwas aufwendigere Tür, sondern eine gewaltige selektiv-offene Grenze zwischen Hausinnerem und dem Draußen. Portale sind zu finden an altzeitlichen Palästen, Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempeln, damit in wohl jeder europäischen Stadt, auch in den sauberen Ruinen des Freilands, zu dessen Besuch hier keineswegs animiert werden soll. Verwiesen wird hier auf Lattavel, Tusnibal, Vulnisi, Javareso, Leliseram, Glogsaw, Mainsorna und Nilbud – neben den bekanntesten Attraktionen in den größten FFE-Städten.
Wenn das ökonomische Kapital vorhanden war, wurde üblicherweise die für Menschleins notwendige Höhe des Portals von etwa 2 Metern deutlich überschritten, bisweilen auch um ein Vielfaches. Das Portal besteht nicht bloß aus einem Loch im Mauerwerk, sondern um eine wenigstens reliefartige Gestaltung um eine (Doppel-)Tür herum als eine weitere Abgrenzung von der Außenwand. Pfosten, Säulen, Bögen, Figuren und Farben sind dem eigentlichen Eingang vorgelagert oder in die Wand eingelassen, sodass der die Türen wenige Zentimeter oder einige Meter nach Durchschreiten dieser Kunst erst folgen. Es ist eine Darstellung von Möglichkeiten jenseits des rein baulich Notwendigen.
Das Weiß der Stadt Henat, welches Eines an den zahlreichen Ruinen von Palästen und Tempel findet, erscheint seit Jahrhunderten prachtvoll und scheint keinerlei farbliche Gestaltung nötig zu haben. Und doch waren viele Gebäude, wie auch das Parthenon, einst mit Zinnober oder Hämatit für Rot, oder anderen Mineralien oder Bodenmaterial für Grün-, Gelb- der Blautöne versehen. Auch Figuren und Skulpturen waren in der altzeitlichen Antike noch polychrom. Doch wie alles, litt auch dieser Aufwand unter der Entropie. Farben verblassten. Und so verblassten sogar die Erinnerungen an die antike Farbigkeit von Bauwerken und Skulpturen. Erst viele Jahrhunderte später gelangte das Wissen über diese Farben ins Bewusstsein von Forschern der Antike.
Einst wollten Menschen der Antike also ihre Fähigkeiten und ihren Reichtum zeigen und arbeiteten hart. Sie verliehen ihren Werken Pracht und Stolz über das Notwendigste (Funktion) hinaus (Schönheit). Die Entropie riss die Schönheit nieder, der Zahn der Zeit nagte an der Kunst. Alles vergeblich. Die ganze Mühe, die ganze Arbeit, all dieser Aufwand waren lange verloren. Noch heute versucht Eins Schönes zu schaffen, auch für die Menschheit nach Einem. Doch wird auch diese Mühe letztlich vergebens sein.
Schönheit ist vergänglich. Die Welt ist schlecht.
[1] Vgl. hierzu Baumgart 1992, 40.
[2] Vgl. ebd., 41.
[3] Vgl. ebd., 60.
[4] Vgl. für folgende Schilderungen Gehebe 1998, 249-263.