Perispasmos-A1: Evolution der Gene
Von Luga Hunger:
Es ist dunkel. Die Erde ist vollständig mit Wasser bedeckt. Ein Geist schwebt über dem Wasser. Ein Geist in der Dunkelheit. Über den unendlichen Weiten des Wassers auf diesem einen Planeten. In der Finsternis.
Das ist die Beschreibung des ersten Tages der Erde, noch bevor es Licht, Land oder Lust in der Welt gibt. So schreibt es das antike Buch aller Bücher.
Als Nächstes erschafft Gott also Licht und „Gott sah, dass das Licht gut war; da schied Gott das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der erste Tag.“[1]
„Ach, Gottchen“, möchte Eines nun sagen, „was hat es nun gemacht?!“ Gott erschafft Licht und trennt es von der Dunkelheit, trennt Tag und Nacht. Doch was hat das Verfasserchen sich dabei gedacht? Und wo war es? Es kann nur unweit des Äquators gewesen sein. Überall sonst auf diesem Planeten ist die Trennung von „dusk“ und „dawn“ sehr unscharf. Je mehr mensch sich den Polen nähert, desto mehr Dämmerung hat mensch zwischen Tag und Nacht, sowohl am Morgen als auch am Abend. Es ist hell, bevor die Sonne aufgeht, und es ist hell, nachdem die Sonne untergeht – wenn mensch nicht am Äquator sich befindet.
Die Schöpfung ist natürlich noch nicht am Ende: Gott schafft den Himmel und das Land. Es schafft Gras und Bäume. Gott schafft Sonne, Mond und Sterne (unabhängig von Licht und Dunkelheit). Dazu schafft Gott noch am fünften Tage endlich Wassertiere, von denen es im Wasser nur so wimmelt, und Vögel. Ihnen gibt es die Möglichkeit und den Willen, sich zu vermehren. Am sechsten Tag erschafft er noch „Vieh, Gewürm und Tiere der Erde nach ihrer Art!“[2]
Außerdem schafft er Menschen, auf dass sie über die Erde und die Tiere herrschen, und sich vermehren.
Nun hat sich das biblische Gottchen trotz aller Allmacht einen Ruhetag verdient, und so wollen wir nun auch die Bibel in Ruhe lassen, auf Ewigkeit. Amen.
Die Grundlagen zeitgemäßen Denkens erwirbt Eines sich nicht mit Märchen, sondern mit der Evolutionstheorie. Das ist Grundlage aller geistigen Denkschulen, auf die etwas zu halten ist: Im Denken derjenigen, die es in der Gesellschaft in Europa zu etwas gebracht haben in Politik oder Wirtschaft, von Afu im Osten Europas über Pegizli bis nach Bonlassi im äußersten Westen; aber auch bei den Untersten, den euphemistisch oft als „Soziale“ bezeichneten Menschen, ist es unbestritten, dass die Evolution mit dem Mantra „survival of the fittest“ im Kanon des Menschheitswissens einen festen Platz haben muss; die Sofia-Akademien stehen ebenso dahinter, wie auch obskure Sekten, die sich vielerorts in den sozialen Metern, besonders in Donlon breitgemacht haben, stellen wenigstens dies nicht infrage.
Wie sieht es also aus mit der Evolutionstheorie? Warum steht sie heute, wo sie steht, und warum ist der biblische Anfang aller Tage weder wahr noch nützlich? Vor der Beantwortung dieser Frage und vor der Evolution der Gene ist es sinnvoll, sich Darwin zuzuwenden:
Im Gegensatz zur Bibel postulierte Darwin, dass alle Lebewesen von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Im Gegensatz zum altzeitlichen Mittelalter und der Antike stellte Darwin die These auf, dass Arten und Gattungen veränderlich sind, und zwar in kleinen, ganz langsamen und (beinahe) kaum wahrnehmbaren Veränderungen. Des Weiteren konnte Darwin zeigen, dass die Anzahl der Arten zunahm und im Laufe der Zeit eine erstaunliche biologische Vielfalt entstanden ist. Und schließlich ist das Prinzip der Selektion zu nennen, womit mensch heute niemanden mehr hinterm Ofen hervorlockt: das Überleben der „fittesten“ bzw. am besten Angepassten.[3]
Die Individuen der Gattungen und Arten von Tieren und Pflanzen, die in der Natur zu finden sind, weichen weniger voneinander ab als die Individuen der Gattungen und Arten der Haustiere und Kulturpflanzen. Vor über 10.000 Jahren (AZ) wurden die ersten Pflanzen kultiviert und die ersten Tiere domestiziert. Abhängig davon, welche Eigenschaften das Leben der domestizierten Tiere hatte, passten sich gewisse Eigenschaften der Tiere selbst an. Darwin beobachtete, dass die Hausente leichtere Flügelknochen und schwerere Beinknochen im Verhältnis zum Skelett hatte als die wild lebende Ente. Das erklärte Darwin damit, dass die Hausente weniger fliegt und mehr läuft.[4]
Es lässt sich auch beobachten, dass wildlebende Tiere eher aufrechtstehende Ohren haben als domestizierte Säugetiere. Rehe, Bären, Geparde, Skunks und Große Pandas haben in der Regel aufrechte Ohren, während Pudel oder Kaninchen Hängeohren haben.[5]
Abhängig davon, welche Eigenschaften der Pflanzen gefragt waren, wurde durch Menschen selektiert und damit die Vielfalt in eine bestimmte Richtung gelenkt. „Der Schlüssel liegt in dem akkumulativen Wahlvermögen des Menschen: Die Natur liefert allmählich mancherlei Abänderungen; der Mensch summiert sie in gewissen ihm nützlichen Richtungen. In diesem Sinne kann Eines von ihm sagen, er habe sich nützliche Rassen geschaffen.“[6] Dabei sehen Züchter nach Darwin zurecht in Tieren und Pflanzen, beispielsweise in Schafen oder Äpfeln etwas Formbares, das ihnen zu Verfügung steht, und das ihnen beliebig änderbar erscheint. Mensch versucht, von Individuen einer Art viele Nachkommen zu bekommen, und wählt aus diesen dann zur weiteren Fortpflanzung aus, welche den gewünschten Eigenschaften am nächsten kommen. Dies kann die Zahmheit von wilden Katzen sein, die Zuckertoleranz bei Mäusen oder die optische Infantilität bei bestimmten Hunderassen, oder aber etwas sehr Sinnvolles wie die Größe von Früchten, die Nährstoffmenge und -Zusammensetzung. Hier ist an die altzeitlichen Fortschritte zu denken, die es beim Anbau von Gemüse und Obst schon gab, bevor gentechnisch Schwarzfrüchte ermöglicht wurden.
Die Selektion durch den Menschen braucht aber keineswegs eine bewusste sein, wie Darwin schreibt: „Gäbe es Wilde, die so barbarisch wären, dass sie keine Ahnung von der Erblichkeit des Charakters ihrer Haustiere hätten, so würden sie doch jedes ihnen zu einem besonderen Zwecke vorzugsweise nützliche Tiere während einer Hungersnot und anderer Unglücksfälle, denen Wilde so leicht ausgesetzt sind, sorgfältig zu erhalten bedacht sein, und ein derartig ausgewähltes Tier würde mithin mehr Nachkommen als ein anderes von geringerem Werte hinterlassen, so dass schon auf diese Weise eineunbewusste Auswahl zur Züchtigung stattfände.“[7] Dabei bemerkt Darwin auch, dass Barbaren in Zeiten der Not eher alte Weiber töten als nützliche Hunde. Aus der heutigen Perspektive kommt Eines natürlich nicht umhin, als an Freeländer zu denken. Das Nomansland ist natürlich kein Ort für zivilisierte Menschen, daher gibt es nicht viele Möglichkeiten, an Erfahrungsberichte von Vernünftigen zu hören. Allerdings gibt es Berichte, unter anderem von Raacth Chiger. Chiger berichtete wie auch Tawre Hongui von brutalen Ritualen, bei denen nutzlose Menschen oder auch Tiere getötet werden, ganz ohne jegliche Humanität, wie wir sie kennen und täglich praktizieren. Gegen das Töten von Menschen spricht im Freeland nichts, das Töten von nicht-menschlichen Tieren ist dagegen potenziell eine Gefahr, der im Sinne der Nachhaltigkeit durch den Staat Einhalt geboten wird. Allerdings töten die meisten Freeländer – vermutlich schon wegen der unnötigen Gefahr – selten wilde Tiere, die sie nicht für das eigene Überleben oder zum Handel mit den Städten brauchen. Sie kennen ohnehin keine Möglichkeiten zur Speicherung von Werten und erlegen daher wilde Tiere nur selten und nie eine große Menge. Dagegen töten sie eigene, zahme Tiere, die wohl Nachkommen der früheren ausgewilderten Tiere der Ata-Jahre sind, wenn sie ihnen keinen Nutzen mehr bringen.
Bewusste Züchtung und damit eine bewusste Veränderung von Arten ist nicht bloß möglich, sondern recht unkompliziert. Mensch kann sich mit etwas Land und Einzäunungen und einem scharfen Auge auf die interessanten Merkmale einigermaßen schnell Tiere züchten, wie es beliebt. Doch natürlich findet die Evolution nicht nur die Selektion durch den Menschen statt: Sie vollzieht sich hauptsächlich natürlich, wie Darwin weiter ausführt.
Im Naturzustand findet Eines, wie Darwin erkannt hat, Lebewesen, Arten vor, die in einer scheinbar perfekten Harmonie zu ihren Lebensbedingungen existieren. Diese Perfektion lässt wie beim Physikotheologischen Gottesbeweis[8] die Vermutung zu, dass es einen besonderen Schöpfungsakt gegeben haben muss. Giraffen haben lange Hälse, die sie benötigen, um auch zu Blättern zu gelangen, die weiter oben hängen. Und so hat auch der Schneehase abhängig von seiner Umgebung weißes oder dunkles Fell: Der Nordische Schneehase braucht zur Tarnung das ganze Jahr über weißes Fell, während der Irische Schneehase niemals weiß ist. Auch sind die Ohren der Schneehasen, mit denen sie Wärme abgeben können, umso länger je wärmer ihre Umgebung ist. Auch besitzen Schneehasen, im Gegensatz zu Kaninchen, schon bei der Geburt Fell; sie können es gebrauchen. Diese Anpassung ist auch bei vielen anderen Arten zu betrachten, ob Pflanzen oder Tieren. Die Kolibris sind bekannt für ihre langen Schnäbel, langen Zungen und die guten Flugfähigkeiten. Die Länge des Schnabels variiert jedoch von Kolibri-Art zu Art und passt jeweils perfekt zu den Blüten, von denen sie sich ernähren. Jede Kolibri-Art hat eine eigene ökologische Nische, abhängig von der Schnabellänge und Blütentiefe. Ohne diesen perfekt langen Schnabel kommt der Kolibri nicht zum Blütennektar, und ohne diesen hat der Kolibri nicht die Energie für den kraftraubenden Flug. Und ohne den Kolibri ist es schlecht bestellt um die Fortpflanzung der Pflanze, die eben für diesen einen Zweck bloß süßen Blütennektar herstellt. Dieses Zusammenspiel passt bei den Kolibris und Pflanzen, wie auch bei anderen Spezies und Gattungen.
Die im Naturzustand perfekt auf die Umweltbedingungen angepassten Lebewesen sind Individuen, die ihre Eigenschaften von ihren Eltern vererbt bekommen haben. Diese Vererbung ist keine perfekte Kopie, sondern immer mit Abweichungen verbunden. Weder die Natur, noch die Arten sind auf Dauer konstant. Alles ist im Wandel. Und es bestehen solche Arten, die am besten auf ihre Umweltbedingungen angepasst sind. Die Anpassung von Tieren und Pflanzen an Vorgaben von Menschen ist, wie Darwin gezeigt hat, möglich und nicht schwierig, doch „die natürliche Selektion ist, wie wir nachher sehen werden, eine unaufhörlich zur Tätigkeit bereite Kraft und des Menschen schwachen Bemühungen so unermesslich überlegen, wie es die Werke der Natur überhaupt denen der Kunst sind.“[9] Die Schwierigkeit einer Art, an Umweltbedingungen angepasst zu sein, beschreibt Darwin als mit einem Wettbewerb vergleichbar, der viel zu oft als schöne, heitere Welt erscheint: Wenn Vögel umher fliegen und singen, so sind das Lebewesen, die für ihr Dasein Insekten oder Samen fressen, und deren potenziellen Nachkommen, bzw. ihre Eier, immerzu Objekt der Begierde von Raubvögeln sind. Die schöne, heitere und friedliche Welt ist keine.[10]
Darwin führt weiter fort: Pflanzen ringen am Rande der Wüste mit der Trockenheit um ihr Dasein, sie hängen von der Feuchtigkeit ab und produzieren Jahr für Jahr tausend Samen, von denen nur einer es zu etwas bringt. Ebenso geht es Apfelbäumen, die von Schmarotzern befallen sind: Zu viele von ihnen und der Baum geht zugrunde; einige wenige, aber zu dicht beieinander und nicht alle Schmarotzer können bestehen. Das Leben ist nach Darwin ein Kampf. Leben ist ein Kampf um Leben.
Dieser Kampf um das Leben ist notwendig: Würden alle Samen oder Eier, die produziert werden, zu fortpflanzungsfähigen Pflanzen oder Tieren werden, so wäre das Wachstum, und das Wachstum des Wachstums bald so groß, dass auf der Erde kein Platz mehr ist. Pflanzen, Tiere und Menschen: Sie alle streben nach einer Vermehrung, die so groß ist.[11] Arten müssen kollidieren, und so kollidieren die Bedürfnisse einzelner Individuen.
Dem ungehemmten Wachstum aller Arten steht die Natur mit klimatischen Bedingungen entgegen, wie auch von anderen Spezies und Arten, mit denen komplexe Verflechtungen bestehen: So hängt die Verbreitung von rotem Klee davon ab, wie viele Hummeln es gibt, da es keine andere Art gibt, die diesen Nektar erreichen kann. Die Zahl der Hummeln hängt dagegen davon ab, wie viele Mäuse es gibt, da diese Nester und Waben von Hummeln zerstören. Und die Zahl der Mäuse ist mit der Zahl der Katzen verknüpft, wie bekannt ist, weswegen auf Bauernhöfen stets Katzen zu finden waren. So ist verständlich, wie Darwin feststellt, dass zu den Umweltbedingungen von rotem Klee eben auch die Zahl der Katzen gehört.[12] Diese komplexen Beziehungen sind es, die entschlüsselt sich kaum noch zu Zufällen qualifizieren. Doch ohne diese Bekanntheit neigen Menschleins dazu, eine Häufung zweier Arten ohne intuitiv erkennbare Beziehung, Zufall zu nennen.
Die Änderungen, die von einer Generation auf die nächste sich vollziehen, können vorteilhaft für das Überleben des neuen Individuums, dem jüngsten Vertreter seiner Art, sein, oder nachteilig, aber auch indifferent, also weder noch. Letztere Veränderungen schwanken im Laufe der Generationen ohne Tendenz. Grund für Änderungen können viele Faktoren sein, sodass Menschen wieder gerne von Zufällen reden mögen, weil bloß in Wahrscheinlichkeiten sicher ausgedrückt werden kann, wie Röntgenstrahlen, UV-Licht, Strahlung oder andere chemische Einwirkungen Mutationen des Erbgutes erzeugen.[13]
Sicher ist jedoch, dass während Menschleins eine unbewusste wie bewusste Zuchtauswahl treffen kann, die Natur unbewusst modifiziert und ebenso selektiert. Der Fortpflanzung und dem Überleben zuträgliche Eigenschaften helfen dem Individuum zum Fortpflanzen und Überleben, während im gegensätzlichen Fall diese Eigenschaften es mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit in die nächste Generation schaffen. Würden sich die klimatischen Bedingungen des Nordischen Schneehasen ins Wärmere verändern, so wäre der typische Nordische Schneehase benachteiligt gegenüber einem Schneehasen, der eher längere Ohren hat, sodass der langohrige Schneehase bessere Voraussetzungen zum Überleben und Fortpflanzen hat.
Diese stark, sehr stark gekürzte Sammlung von Entdeckungen von Darwin legt den Grundstein für alles Weitere. Die Evolution der Gene, als die Evolution der biologischen Informationsträger ist nicht fertig ausgeführt, wenn nicht Richard Dawkins The Selfish Gene in Kürze dargestellt wird – überhaupt: Mit Darwin sind Gene noch nicht Thema gewesen. Nach Dawkins besteht das Universum aus stabilen Dingen, stabilen Entitäten[14] („The universe is populated by stable things.“[15]). Das kann eine Sammlung von Atomen sein oder auch etwas anderes, was verbreitet genug ist, um einen Namen zu verdienen. Ebenso ein Ding kann auch ein Molekül sein, also eine Atomverbindung. Solche Verbindung gibt es, wenn sie stabil sind. Einige wenige, bestimmte, größere Verbindungen von Atomen haben die Fähigkeit, mit Hilfe von Energie und Bausteinen, Moleküle zusammenzubauen. So sieht Eines es in Lebewesen, bei Menschen u.a. mit der DNA bzw. der RNA. Ein einfaches Molekül, welches die Fähigkeit hat, sich selbst zu replizieren, nennt Dawkins einen Replicator. Dieser Replicator ist nichts weiter als ein Molekül, welches mit etwas Sonnenlicht oder anderer Energie aus Bausteinen der eigenen Umgebung eine Kopie von sich selbst herstellen kann. In einigen Generationen verändern sich diese Replicatoren durch Mutationen, die als Zufälle bezeichnet werden, aber natürlich nicht indeterminiert sind. Einwirkungen aus der Umwelt, Störungen, verändern den Prozess des Kopierens, und dabei entstehen Mutationen, wie sie auch beim Abschreiben von Büchern im Mittelalter der Altzeit geschehen sind. Es handelt sich nicht mehr um exakte Kopien dieses Moleküls, sondern um veränderte Moleküle. Dass von diesen Mutantenmoleküle viele lebensfähig sind, ist unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist es, einen Haufen Legosteine in einem Schuhkarton zu schütteln und dann erwarten zu können, dass ein Lego-Auto dabei herauskommt. Doch es ist nie so unwahrscheinlich, dass es unmöglich ist. Einige Mutationen sind überlebensfähig. Das Ergebnis sind vielleicht andere Moleküle, die größer, komplexer oder einfach nur anders sind. Alle diese Moleküle brauchen Bausteine zur Replikation. Sie haben kein Bewusstsein, doch das ist, was sie tun. Haben sie Bausteine, reproduzieren sie sich selbst. Vielleicht hat ein Mutant die Möglichkeit, einen anderen Replicator als Bausteinvorrat zu nehmen, ihn aufzuspalten und sich dann zu reproduzieren. Spätere Mutationen führen dann vielleicht dazu, dass sich die Replicatoren eine Art Schutzschicht zulegen, eine Wand um sich herum, die offen ist, wenn es dem Replicator nützlich erscheint. Dann besteht der Replicator aus einer Wand um sich herum, und einem Kern, der für das Reproduzieren zuständig ist. Dies ist dann schnell eine dominante Eigenschaft, mit deren Hilfe das Überleben dieser Art eher gesichert ist. Im Wettbewerb mit anderen Replicator-Arten überleben solche besser, die sich eine bessere, effizientere Schutzschicht besorgen, und sich besser reproduzieren. So beschreibt Dawkins, in einem Gänsehaut erzeugendem zweiten Kapitel, wie der Anfang des Lebens ausgesehen haben könnte: Kleine sich reproduzierende Moleküle, die sich reproduzieren konnten; Mutationen; Wettbewerb unter den Replicatoren; und folglich immer elaboriertere Lösungen zum Überleben bei knappen Ressourcen und hoher Konkurrenz um diese.[16]
Was schließlich geworden ist aus den Replicatoren beschreibt Dawkins so: „They did not die out, for they are past masters oft he surival art. But do not look for them floating loose in the sea; the gave up the cavalier freedom long ago. Now they swarm in huge colonies, safe inside gigantic lumbering robots, sealed off from the outside world, communicating with it by tortuous indirect routes, manipulating it by remote control. They are in you and in me; they created us, body and mind; […] Now they go by the name of genes, and we are their survival machines.“[17]
Wir Perispasmostiker haben diese schöne, wenngleich erschreckende Vorstellung lange hinter uns gelassen, nachdem ein jeder zunächst mit dieser Beschreibung von Dawkins die kindlich-naiven Vorstellungen der Welt beiseite gewischt hatte. Die Realität, wie sie im Folgenden des Kapitels Warum Menschen leiden noch aufgezeigt werden wird, sieht freilich anders aus. Doch ist Teil jeder Wahrheit auch der Weg zu ihr. Unser aller Weg führte auch über Dawkins, von welchem noch viel zu lernen ist.
Die weiteren Grundprinzipien der Evolution der Gene sehen – stark gekürzt – wie folgt aus: Gene als die biologischen Informationsträger stehen im Wettbewerb miteinander. Mensch findet Gene in Pflanzen und Tieren (menschlich wie nichtmenschlich). Gene sind die Replikatoren, die die Erbinformationen des Lebens beinhalten. Sie stehen im Wettbewerb miteinander, und Tiere wie Pflanzen sind als logische Konsequenz nach Millionen von Jahren Evolution ihre survival mashines.
Über sogenannte Zufälle finden Mutationen statt, es entstehen neue Gene, welche gut oder schlecht sein können. In den individuellen Lebewesen finden sich Gene, die dem Überleben und der Fortpflanzung zu- oder abträglich sein können. Welche es genau sind, die die Chancen des Überlebens und der Fortpflanzung erhöhen oder senken, spielt nicht direkt eine Rolle, jedenfalls nicht für das Individuum. In der Masse von Lebewesen einer Art jedoch ist klar, dass mehr Lebewesen überleben und sich fortpflanzen, wenn in ihnen gute Gene sind. Ist ein gutes, d.h. nützliches, Gen in vielen Lebewesen, die dadurch bessere Chancen zu überleben und zur Fortpflanzung haben, so findet sich dieses gute Gen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in der nächsten Generation wieder. Dem Überleben und Fortpflanzen eher abträgliche Gene finden sich mit einer geringen Wahrscheinlichkeit in der nächsten Generation. Gene, die weder gut noch schlecht in dieser Hinsicht sind, beeinflussen die Chancen kaum. Dabei kommt es natürlich auf die Umweltbedingungen an. Findet sich ein Gen in einem Individuum, das dadurch rote Haare ausbildet, so mag das in unserer Zeit nichts an den Chancen des Überlebens oder Fortpflanzens ändern. In der alten Zeit der Hexenverbrennung wären solche Gene schlecht gewesen und würden eher herausselektiert werden. Hat das Tragende eines Gens Vorteile durch das Gen, so überlebt es besser, und wird eher die Möglichkeit der Fortpflanzung haben, sodass auch seine Gene eher in die nächste Generation wandern.
Nicht anders erklärt Dawkins auch, weshalb Menschen altruistisch handeln, wieso sie Gutes tun, ohne davon zu profitieren. Die Hilfe unter Verwandten ist eine Hilfe eines Gen-Tragendes, die einem anderen Individuum zugutekommt, das mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit das gleiche Gen hat. „If I possess a gene for giving up food, there is a 50 per cent chance that my baby brother contains the same gene. Although the gene has double the chance of being in my own body – 100 per cent, it is in my body – my need of the food my be less than half as urgent.“[18] Durch ein Gen, welches sich besser repliziert, weil es auf Verwandtschaft Rücksicht nimmt, haben die Individuen auf der höchsten Ebene, im Bewusstsein, den Willen, sich um Verwandte zu kümmern. So erklärt Dawkins auch, wie es möglich ist, dass Mütter ihren Kindern mehr opfern als Väter (Vaterschaftswahrscheinlichkeit ist geringer als Mutterschaftswahrscheinlichkeit), Geschwister einander eher altruistisch begegnen (zu 50% gleiche Gene) als entfernten Verwandten.
Natürlich hat altruistisches Verhalten der tierischen Ebene auch Vorteile auf genetischer Ebene, wenn das Individuum dadurch Stärke oder Reichtum signalisiert und die Chancen auf Fortpflanzungspartner steigen. Doch soll das Spiel der Geschlechter, welches sich bei Dawkins auch findet[19], in diesem Werk keine Rolle spielen.
In der extremen Kürze dieses Kapitels sollte nun klargeworden sein, dass Menschen, wie auch andere Tiere, als Spielsteine in einem unbewussten Wettbewerb von biologischen Informationsträgern darstellbar sind. Es findet ein Spiel statt aus Zufall[20] und Wettbewerb um Ressourcen. Menschliche Ideale sind nicht mehr als etwas Geistiges oder Illusionäres. Die menschliche Unbedeutsamkeit und Leid sind dagegen real: „Denn nicht dieses [Individuum], sondern die Gattung allein ist es, woran der Natur gelegen ist[21], und auf deren Erhaltung sie mit allem Ernst dringt, indem sie für dieselbe so verschwenderisch sorgt, durch die ungeheure Ueberzahl der Keime und die große Macht des Befruchtungstriebes. Hingegen hat das Individuum für sie keinen Werth und kann ihn nicht haben, da unendliche Zeit, unendlicher Raum und in diesen unendliche Zahl möglicher Individuen ihr Reich sind; daher sie stets bereits ist, das Individuum fallen zu lassen, welches demnach nicht nur auf tausendfache Weise, durch die unbedeutendsten Zufälle dem Untergang ausgesetzt, sondern ihm schon ursprünglich bestimmt ist und ihm von der Natur selbst entgegengeführt wird, von dem Augenblick an, wo es der Erhaltung der Gattung gedient hat.“ (WI, 363)
- [1] Gen 1.4-5 SCHL.
- [2] Gen 1.24 SCHL.
- [3] Vgl. Darwin 2013, XIX.
- [4] Vgl. Darwin 2013, 15.
- [5] Vgl. Darwin 2013, 15.
- [6] Darwin 2013, 30.
- [7] Darwin 2013, 33.
- [8] Wie eine feinmechanische Meisterleistung der Taschenuhren es nicht anders zulässt als auf einen Uhrmacher zu schließen, so geht der Physikotheologischen Gottesbeweis vor, wenn aus den feinen und komplexen Abstimmungen der Natur auf einen allmächtigen Schöpfer geschlossen wird. Allerdings fordert mensch mit diesem Beweis letztendlich nicht mehr als einen hinreichend begabten Baumeister, von dem weitere biblische Eigenschaften nicht notwendig zu erwarten sind.
- [9] Darwin 2013, 58 f.
- [10] Vgl. ebd., 59.
- [11] Vgl. ebd., 60.
- [12] Vgl. ebd., 65.
- [13] Vgl. ebd., 70.
- [14] Entität = Etwas Seiendes, ganz gleich was, solange es ist.
- [15] Dawkins 1989, 12.
- [16] Vgl. ebd., 12-20.
- [17] Ebd., 19-20.
- [18] Ebd., 128.
- [19] Ebd., 140 ff.
- [20] Von nun an soll dieses Wort Zufall nicht weiter kommentiert werden, obgleich das Wort nicht mehr ist als ein nützlicher Begriff zur Darstellung der Begrenztheit des menschlichen Vermögens, Dinge zu erfassen. Als Zufall bezeichnet mensch nichts, was Mensch versteht. Zufall ist niemals mehr eine Komplexität von Wahrscheinlichkeiten größer 0 und Relationen.
- [21] Der Natur mag aus moderner Sicht natürlich an nichts gelegen sein.