Hauptnutzenmaximierung II (6153)
Anschließend an den Text zur Hauptnutzenmaximierung vom 5786[1] will ich nun ein weiteres Beispiel nennen: Nahrung. Was ist sinnvoller bei der Ernährung als den Nutzen der Nahrung aufzuspalten? Welchen Nutzen kann sie erfüllen?
Nahrungsnutzen
Zunächst haben wir zweierlei Übel, die zu befriedigen sind: Hunger und Appetit. Während der Hunger in der modernen Welt für die allermeisten Menschen nur noch selten Nahrungsmittel fordert, ist der Appetit schnell und oft präsent. Der Hunger ist gekoppelt an eine körperliche Realität, dem Magen. Der Appetit ist geprägt durch äußere Sinneswahrnehmungen (im Gegensatz zu den Sinnen, die uns unser Innenleben näherbringen, wie Bauchschmerzen), wie olfaktorische oder optische: Wir sehen Donuts und können davon angewidert sein, oder das verspüren, was Appetit zu nennen ist, ein Verlangen, eine Lust.
Weitere Nutzen sind Gesellschaft, die aus verschiedenen Gründen mal ans Essen gekoppelt war: Es ist ökonomisch sinnvoll, für viele Menschen einmal zu kochen, anstatt vielfach für einzelne Menschen Nahrungsmittel zuzubereiten. Außerdem waren die Familienstrukturen anders.
Selbstverständlich war auch die Natur schon mehr involviert, da sie die Quelle der Nahrungsmittel war, ist sie heute zwar noch immer, aber jetzt bloß noch mittelbar. Für den einzelnen Esser ist die Natur nicht mehr präsent.
Mit der Gesundheit finden wir einen weiteren Nutzen, den der Verzehr haben kann. Nicht jedes Nahrungsmittel führt zu Gesundheit, nicht jedes Nahrungsmittel darf oder wird als »gut« bewertet. Manche Nahrungsmittel werden allerdings größtenteils gerade wegen dieses Nutzens konsumiert. Dieser Nutzen von Nahrung ist nicht zu vernachlässigen.
Im Kern mag man den Nutzen der Freude als etwas sehen, das sich schon im Appetit wiederfindet. Doch ist das immer so? Unglück kann in entsprechend denkenden Menschen einen Mechanismus auslösen, den man heutzutage recht schnell ausprägt und sich zur Gewohnheit macht: Leid kann man durch süße oder fettige (am besten kombiniert) Lebensmittel mindern und es vergessen machen. Der Nutzen der Freude ist ein von Hunger oder Appetit unabhängiger, wenngleich es nicht keine Relationen zwischen ihnen gibt. Doch, wer unglücklich ist und eine solche Emotionsregulationsstrategie[2] erlernt hat, hat nicht notwendig Appetit.
Trennungen
Die Freude mag man nicht nur heute in Drogen finden, sondern wohl auch in Zukunft, doch so sehr man in solchen Substanzen auch nur diesen einzigen Nutzen sehen will[3], so wenig sollte dies die glücklich machenden Nahrungsmittel verdrängen. Zum einen ist vollkommen klar, dass die als »Drogen« bezeichneten Mittel deutlich negativer wirken, und zum anderen sollte man nicht erwarten, dass der Prozess der Hauptnutzenmaximierung jedem Nutzen genau ein Mittel zuweist und zugleich ein Mittel genau einen starken Nutzen mit sich bringt. So elaboriert wie die Lebensmittel in ihrer Süße und Fettigkeit sind, ist kaum denkbar, dass es irgendwann keine oral einzuführenden Substanzen mehr geben wird, die Freude machen sollen. Die Frage ist bloß, wie man mit dem regelmäßig damit einhergehenden negativen Nutzen, dem Schaden, in Bezug auf die Gesundheit umgeht.
Gesundheit scheint mehr und mehr als Nutzen an Bedeutung zu gewinnen, jedenfalls im Bewusstsein der Menschen. Dafür gibt es z.B. Fettblocker, Vitaminpillen und viele Nahrungsergänzungs- oder »Ersetzungs«-Mittel. Nahrung muss längst nicht mehr herkömmliche Formen und Farben haben. Es darf erwartet werden, dass es mehr und mehr Substanzen im Alltag von Menschen geben wird, die bloß den Gesundheitsnutzen haben.
Von der Natur als Notwendigkeit in unserem Leben haben wir uns längst verabschiedet. Wo müssen wir ihr denn noch begegnen? Die Natur suchen wir nur noch bewusst auf, dann tatsächlich eher in Gesellschaft als alleine, aber immer etwas bewusster, als es die Nahrung einst erforderte.
Die Gesellschaft findet ihren Weg an unseren gedeckten Tisch ebenfalls seltener, und wenn, dann ganz bewusst, wenngleich der Tisch dafür nicht immer gedeckt sein muss. »Gesellschaft« ist mehr und mehr ein Ereignis, ein besonderes und weniger ein beiläufiges. Gesellschaft reduziert sich auf Momente, die bewusst und gewollt herbeigeführt werden. Unser Haushalt erfordert nicht mehr durch eine größere Menge an Mitgliedern das ständige Beisammensein von mehreren Menschen.
Hunger und Appetit erfordern nach wie vor eine Nahrungsmittelaufnahme. Die Industrie fragt sich – für uns – wie das effizienter gestaltet werden kann. Proteinshakes und scheinbar vollwertige, künstliche Nahrungsmittel scheinen eine Lösung zu sein, die innerhalb einer Minute den Hunger beseitigen und zugleich der Gesundheit dienen. Der Appetit und die Freude spielen hier keine Rolle mehr, wobei Freude vielleicht in dem Sinne aufkommen kann, dass man sich darüber freuen darf, vermeintlich Gesundes »gegessen« zu haben.
[1] Wo ich zunächst fälschlich von »Intension« anstelle von »Intention« sprach. [2] Siehe »Instant Happy« [3] Eine Befriedigung der Suchtbedürfnisse zählt allerdings doch dazu.