Hauptnutzenmaximierung (5786)

Ich habe eine These, angesichts der Quasirente aus der Ökonomie, für den Alltag des Menschen: Menschliche Tätigkeiten werden sich im Laufe der Zeit so stark isolieren lassen, dass immer der jeweilige angestrebte Hauptnutzen, die Intension einer Handlung selbst, vollkommen im Vordergrund steht und die Anzahl der Tätigkeiten, die nicht in höchstem Maße der Intention selbst dienen, werden stark eliminiert. Ziel des Ganzen: die Steigerung der Effizienz. Wie das Training von Muskeln immer effizienter durch die Isolation desselben bei einer Übung wurde, so wird auch der Nutzen immer stärker im Vordergrund stehen. Diese These ist zu überprüfen, und in dem erwartbaren Fall, dass sie widerlegt wird, so ist, falls ich genug Interesse daran (geweckt) habe, zu betrachten, wo sie gilt, wie und warum sie gilt.

Wir brauchen keine 5–20 Millionen Jahre zurückgehen, als Schimpansen, Gorillas, Menschen und weitere Affen einen gemeinsamen Vorfahren hatten, vielleicht auch nicht einmal 10.000 Jahre bevor unsere menschlichen Vorfahren zwar noch kein Bier brauten (wenige Tausend Jahre später erst), aber schon sesshaft wurden, doch irgendein Zeitpunkt dort angesiedelt, ist ein Punkt, an dem wir sehen können, wie Menschen Bewegung hatten, ohne Bewegung in ihren Alltag einzuplanen. Dort ist ebenfalls zu sehen, wie Menschen Kontakt zu Mitmenschen hatten, ohne ihn zu planen. Wollte man von A nach B, so war – aus heutiger Sicht - der damals notwendige Nutzen ein (mindestens) zweigeteilter: Das Erreichen eines anderen Ortes und dazu die Bewegung, nach der wir uns heute so sehr sehnen (sollten). Der damals wie heute angestrebte Hauptnutzen war das Erreichen eines anderen Ortes. Diesen konnten wir Menschen immer effizienter erreichen – und immer schweißfreiter. Wir konnten irgendwann Pferde besteigen, bald darauf Züge, Kutschen ohne Pferde und vieles mehr. Wir erreichten unsere geografischen Ziele immer schneller. Das ist es, was wir sehen sollten, wenn wir auf Aufzüge, Straßenbahnen, Taxen oder Flugzeuge schauen: die Abwesenheit von Bewegung, der Wegfall eines Nutzens.

Wie wurden einst Kinder betreut? Ich kann kaum annehmen, dass es zu jeder Zeit eine sprachliche Entsprechung für das Betreuen von Kindern gab. Diese Begrifflichkeit war keineswegs immer notwendig. Hatte man einen Hof zur Bewirtung von Feldern, so wuchsen die Kinder im Umfeld der Familie und ihrer Arbeit auf. Betreuung oder Erziehung war mit Sicherheit weniger ein Agieren als ein Reagieren. Das Arbeiten der Kinder im »elterlichen Betrieb« oder im Haushalt war genauso eine Selbstverständlichkeit in vielen deutschen Häusern am Anfang des letzten Jahrhunderts, wie es heute ihr Dasein im Kindergarten ist. Der Nutzen der Erziehung oder Betreuung ist freilich die Bildung und die Tugendhaftigkeit. Das hatten weder Krieg noch Krise geändert. Die Beiläufigkeit und das Nebeneinander von Arbeit und Familie (inkl. Erziehung/Betreuung) ist nun getrennt. Die Nutzen sind separat und werden je für sich in ihrer Effizienz maximiert. Kinder sind in Erziehungs- bzw. Bildungsanstalten, die die Bildung nach herrschendem Zeitgeist in die Kinder einarbeiten, während Eltern in Betrieben ihren Wirkungsgrad in der Ökonomie der Nation zu maximieren versuchen – da sie sonst ihre Existenzgrundlage verlieren.

Joggen mag früher einmal nichts gewesen sein, dass einen solchen Begriff erfordert hätte, es war Mittel zum Zweck, es war ein ausdauerndes Laufen, mit einem aus heutiger Sicht (des Wissens) großen gesundheitlichen Nutzen, das bloß einer Hetzjagd zum Erlegen der Beute dienen sollte, oder dem mittellosen schnellen Erreichen eines anderen Ortes. Wo das Essen selbst nicht mehr Sache einer alles produzierenden Familie sein muss und die Ökonomie es jedermann einsichtig macht, wie gut Aufgabenteilung ist, bleibt von der Jagd nicht mehr übrig als das schnellere Greifen ins Supermarktregal, um die beste Ware abgreifen zu können, bevor nur noch etwas zu reifes Gemüse Ladenhüter spielen darf. Von der Bewegung bleibt wenig übrig. Der Nutzen der Bewegung ist jedoch nicht weggefallen, wie unsere Generation weiß und somit als Verantwortung aufgedrückt bekommt: Wir müssen uns bewegen. Noch trauen sich Krankenversicherungen nicht, Fehlverhalten stark zu sanktionieren, sie tun es lediglich, indem sie erwünschtes Verhalten, wie das Teilnehmen an Fitnesskursen/Vorsorge/Beratung, fördern oder belohnen. Der Nutzen bleibt, und er wird isoliert. Aus einer Tätigkeit werden viele, aus einer guten viele wenige oder anders gute.

Was Ford »im Sinne des Kapitalismus« mit der Autoproduktion tat, macht der Kapitalismus scheinbar in unserem Sinne mit unserem Alltag: Alles wird der Effizienz zuliebe zerstückelt. Es ist nicht schlecht, das muss es nicht sein, anders und nicht ohne Komik ist es dennoch.