Fantasy-Orogenese bei Witcher, Lord of the Rings und Game of Thrones

Hat sich eigentlich irgendwer mal ernsthaft Gedanken über die Topografie hinter Witcher, Lord of the Rings und Game of Thrones gemacht? Fantasy muss nicht vollkommen realistisch sein, soll es auch gar nicht. Wenn es aber gar keine Anknüpfungspunkte an die Realität gibt und nichts realistisch ist, kann kein Leser einen Bezug herstellen. Wie viel Realität muss in Fantasy stecken?

Gebirge entstehen (=Orogenese) in der Regel durch die Kollision von Kontinentalblöcken (Alpen, Himalaya) oder das Aufeinandertreffen von einer ozeanischen und einer Kontinentalplatte. Ein anderer Fall sind Vulkane, die allerdings meistens auch dort entstehen, wo Erdplatten auseinanderdriften oder bei Plattenkollisionen. 

In den Karten der genannten Fantasy-Welten erscheinen Gebirgsketten anscheinend vollkommen willkürlich. Besonders die Witcher-Karte übertreibt es. Dort werden, wie bei Mordor in LOTR, Gebirgsketten als Grenzverläufe Herrschaftsgebieten genutzt, als seien nur Gebirgsketten und Meere gängige oder denkbare natürliche Grenzen. So willkürlich können die Gebirge aber kaum entstanden sein. Außer, man geht von Magiern oder anderen übernatürlichen Wesen aus, die diese Grenzen erschaffen haben, die ihrerseits aber irgendwelche Gründe für diese Grenzen gehabt haben müsste. 

Zwei Probleme habe ich also mit diesen Karten von Fantasy-Welten:

  1. Gebirge und Meere sind nicht die einzigen natürlichen Grenzen zwischen Territorien. Es gibt außerdem Wüsten und Flüsse. Letztere tauchen in der Realität viel öfter auf als Gebirge. Beim Witcher ist es genau andersherum. Die Schöpfer künftiger Fantasy-Welten sollten sich vorher topographische Karten unseres Planeten anschauen.
  2. Die beiden wichtigsten Anknüpfungspunkte für Konsumenten (Leser, Zuschauer) von Fantasy-Erzählungen sind menschennahe Charakter und Kausalität.
    1. Wir sind Menschen und brauchen menschliche oder menschennahe Wesen, die uns auf ihre Reise mitnehmen. Vermenschlichte Tiere, Hobbits oder Ents sind dabei auch geeignet. Je besser die Charaktere sind (zum Beispiel in den ersten Staffeln von Game of Thrones), umso besser sind die Handlungen.
    2. Wir müssen davon ausgehen, dass es auch in einer Fantasy-Welt sinnvoll ist, nach dem "Warum" zu fragen. So funktioniert unsere Welt (oder: so funktionieren wir). Ohne Kausalität können wir keine Erwartungen aufbauen und verstehen nichts. Weil nichts zusammenhängt. Gebirge, deren Genese wir der Willkür eines Autoren zuschreiben und nicht (theoretisch) erkennbaren Gesetzmäßigkeiten in der Welt, brechen die Kausalität. Oder eigentlich nicht die Kausalität, sondern die fiktive Welt des Autoren. Das ist eben die Schwachstelle der Fiktion: Sie hat im Gegensatz zur Realität Plotholes. (Es entspräche jedenfalls nicht einer lebensnahen Betrachtung, davon auszugehen, dass unsere Wirklichkeit welche hat.)