bunte Träume in der grauen Wirklichkeit (5949 NZ)
Dem, der von einer besseren Welt träumen kann, gehört die Welt. Ich rede nicht vom leider naiven Träumen der Verbesserung der Lebens- bzw. Leidensverhältnisse der Menschen bzw. aller Tiere dieser Welt, sondern lediglich der eigenen Wirklichkeit. Ganz ernsthaft: Wieso eigentlich sollte ich mich aus der Ruhe bringen durch die Irrungen und Wirrungen der (Alltags-)Probleme der Mitmenschen? Wenn ich doch an allem zweifeln könnte, warum sollte ich an banalen Fragen der ökonomischen Existenz in dieser Welt verzweifeln? Ich kann es nachvollziehen, ich fühle sogar mit meinen Mittieren ab und an, doch meist zucken meine Mundwinkel da längst und ich kann mich eines Schmunzelns nicht mehr erwehren. So banal ist doch die Welt. Alle kleineren Fragen werden durch größere überschattet und verlieren jegliche Relevanz – bis allerdings, ja bis »kleinere« Fragen wie das Prekäre der finanziellen Wirklichkeit an den wenigen Mittieren nagt, denen man größere Gefühlen entgegenbringt, so etwas wie Verwandte ersten Grades oder einem Partner ...
Bin ich alleine, so kann ich träumen. So kann ich in den Verhältnissen unserer zivilisierten Welt, die ja schon schlecht genug ist, von anderen Verhältnissen träumen. Während ich monotone Arbeit verrichte, bin ich in meiner Welt. Die ist so schön, bringt befriedigende Gefühle und lässt vergessen, was von Sozialdemokraten vor einem Jahrzehnt schon vergessen wurde: die Lebensverhältnisse der Arbeiter.
Ich meine von mir, man könnte mich einer totalen Institution übergeben, etwa einem Gefängnis und ich würde dort meine Träume träumen, während mein Körper mein Leben lebt. Was ist schon real? Bin ich im Glück, wie kann dann die Welt voll des Unglücks sein? Meine Ohren nehmen den Klang schöner Stimmen wahr, mein Kopf gibt sich dem hin und schöne Bilder sind vor meinen Augen. Wo bin ich wirklich? Es bin im tristen Grau, aber zugleich auch in meiner heiteren und farbenfrohen Welt.
Es ist wohl auch zuzugeben, dass ich schon öfter aufgewacht bin, meine Träume ausgeträumt habe, und dann bemerke, wie mein Leben im tristen Grau stillstand. Man hätte im Grau arbeiten können, um andere Facetten, andere Töne des Graus kennenzulernen, doch dazu muss man an andere Töne des Graus glauben. Viele glauben sogar, es gäbe andere Farben. Sie waren im Grau, sind im Grau und arbeiten im Grau für die Farben, von denen sie träumen, die sie im Fernsehen von einer anderen Welt sehen. Ob ein Leben auf dieser Welt für sie Farben bereithält oder nicht, wissen sie nicht. Sie arbeiten und arbeiten, weil die Prophezeiung unserer Welt eine vom erreichbaren Reichtum ist: Fleiß zahlt sich aus. Wer ackert, darf irgendwann auch genießen – und muss nicht ewig ackern?! Außerdem gibt es keinen Reichen, der nicht mit Fleiß und Schweiß reich wurde?!
Natürlich gibt es auch noch diejenigen im Grauen, die das Graue verehren, weil es für sie ein Zeichen für die Existenz der Farben in einer anderen Welt ist. Die Farben, das Glück, alles wartet im Jenseits auf die unter uns, welche das Grau nur akzeptieren. Nichts ist stabilisierender für ein Herrschaftssystem als dieser Glauben – grandios. Man kann vielleicht nicht sagen, ob der Glauben gerechtfertigt ist, doch rechtfertigt er die Unterordnung der Gläubigen – genial!
Es darf nur niemand glauben, man kann Reichtum ohne Fleiß und Moral erreichen. Wer würde sonst noch Moral und Arbeit hochhalten? Wer würde sonst noch das Grau akzeptieren?
Eine Alternative zu alldem ist das Genießen der Natur mit allen Sinnen. Man kann sich ins Gras setzen oder legen und aufhören zu denken, bloß den Moment mit jedem einzelnen Sinn wahrnehmen. Es benötigt einen Moment des Bewusstseins, der den Atem beruhigt, den Puls senkt und den Fokus durch die alles vom und im Moment Wahrnehmbare schweifen lässt. Dann kommt man an im Moment, im Hier und Jetzt. Wer dort ist, kann einem Paradies kaum näher sein – sofern man eine schmerzfreie Sekunde hat.
Ich habe allerdings schon an einer kleinen Vielzahl von Träumen gearbeitet. Sie sind eine parallele Welt, so schön wie die Wirklichkeit nur selten ist, nämlich zum Preis des unvermeidlichen großen Unglücks. Wer auf das große Glück in dieser Welt baut, der hat immer die Hypothek des ebenso großen, nur länger anhaltenden Unglücks mitgekauft. So funktioniert nämlich das Spiel, das große Spiel des Lebens, das ich doch nie spielen wollte. Dabei geht es um die Sache, die allen Philosophen zusammen mit dem Göttlichen am wichtigsten ist: die Liebe.
Die Wege zum Glück sind also besondere Mittel oder Möglichkeiten, wie Drogen oder die Bewunderung des Moments und der Natur. Klingt spirituell, bin aber niemand, der sich je ein positives Wort darüber verloren hat oder erst nehmen könnte. Oder die Religion. Oder der goldene Löffel im Arsch, oder eben die Arschlöcher, die durch Schein oder Unmoral Träume wahr machen.